Tag 6 // Ascotal - Restonica

Geschrieben von Konstantin Gerber

Nach dem Frühstück verlassen wir das Tal und begeben uns in die Nachbarschlucht. Auf dem Weg dorthin kommen wir kurzzeitig in der Zivilisation vorbei, in der wir uns vorsichtshalber gleich für die nächsten zwei Tage mit Essen eindecken, bevor wir wieder im korsischen Dschungel verschwinden.

Richard geht es heute ein wenig besser, und so wagen wir eine als etwas seichtere Tour angepriesene Runde. Der Weg beginnt an einer Haltebucht, in die Karl gerade so hineinpasst. Von dort aus schlängelt er sich dann etwas oberhalb der Straße parallel zu dieser durch das Tal. Angeblich nutzten früher Hirten den Weg, deshalb ist er relativ gut ausgebaut. Ein Trampelpfad zwar, aber an gefährlichen Felsen wird er durch lose aufeinandergeschichtete Steine abgestützt. Im Tal dominiert die Farbe Gelb, durchsetzt vereinzelt von grünen Büschen. Wir sind uns sehr unsicher, wie diese Büsche in dieser Ödnis genügend Wasser bekommen, um sich ein derart knalliges Grün leisten zu können, denn der Boden ist staubtrocken und auch die Kuhfladen, die ab und an den Weg säumen, sind durch die unbarmherzige Sonne zu abstrakten Sandgebilden verkommen. Insgesamt entsteht so eine Landschaft, die ich eher irgendwo in südöstlich vom Mittelmeer vermutet hätte. Verstärkt wird der Eindruck noch durch die Massen an Eidechsen, die sich auf den heißen Steinen sonnen, und die schnell nach links und rechts verschwinden, sobald sie unserer gewahr werden. Nicht-repräsentative Statistiken meinerseits ergeben, dass wir pro hundert Doppelschritten mindestens zwölf sicher identifizierten Eidechsen begegnen. Nicht mitgezählt sind diejenigen die ich nur noch davonhuschen sehe, da das Rascheln im Gebüsch genauso durch die zahlenmäßig fast noch überlegenen Riesengrashüpfer hervorgerufen wird.

Wie für Karl gemacht

Wie für Karl gemacht

Der Blick des Fotografen in die Landschaft - Part 1

Der Blick des Fotografen in die Landschaft - Part 1

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Der Blick des Fotografen in die Landschaft - Part 2

Der Blick des Fotografen in die Landschaft - Part 2

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Kurze Pause, um Schatten nachzutanken

Kurze Pause, um Schatten nachzutanken

Tim demonstriert die korrekte Wandertechnik

Tim demonstriert die korrekte Wandertechnik

Ich berichte in diesem Blog zwar ständig in dem höchsten Tönen von den verschiedenen landschaftlichen Phänomenen, sodass Wörter wie großartig, unglaublich oder phantastisch nicht wenig ihrer Wirkung eingebüßt haben, aber dieses Tal setzt noch einen drauf. Es ist völlig anders als alles, was ich bisher gesehen habe. Die Bereiche Korsikas, die wir bisher zu Gesicht bekommen haben, ließen sich immer mit einer Mischung aus Norwegen, den Alpen und Italien vergleichen, wirklich schön, aber nichts grundsätzlich Neues, diese gelbe Wüste aber ist für mich ein ganz neuer Eindruck. Und zwar ein großartiger, unglaublicher und phantastischer.

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Mein Versuch, Richard beim eleganten Überqueren eines Bachlaufs zu fotografieren

Mein Versuch, Richard beim eleganten Überqueren eines Bachlaufs zu fotografieren

In der Ferne sehen wir von einem Berg Rauch (Tim und Richard)/eine Wolke (ich) aufsteigen, und vermuten, dass es sich hierbei um einen Waldbrand (Tim und Richard)/eine Wolke (ich) handelt. Die Diskussion geht soweit, dass Tim fünfzig Euro auf den Waldbrand setzt, und ich mit dem vormittäglichen Einkauf (33,70€) dagegen halte. Leider lässt sich die Sache nicht zweifelsfrei aufklären, weder können wir im weiteren Verlauf der Wanderung genaueres erkennen, noch findet Richard im Internet Informationen über aktuelle Waldbrände in dieser Region.

Nach vier Kilometern und etwa zwei Stunden trifft der Weg in einem kleinen Dörfchen wieder auf die Straße. Tims Reiseführer empfiehlt, diese für den Rückweg zu benutzen, da das Tal sich hier unten noch aus einem ganz anderen Blickwinkel eröffne, und so leisten wir seinem Vorschlag Folge, der Angst trotzend, von einem rasanten Franzosen über die niedrige Bande in die Schlucht gekegelt zu werden. Und auch das lohnt sich. Hier unten, dichter beim Wasser, wachsen ein wenig mehr Bäume, das Tal ist schmaler und steiler, und statt mit trockenem Geröll mit spannenden Felsformationen ausgekleidet. Die Straße ist - wie üblich - kaum breiter als ein Feldweg, und abwechselnd in den Fels geschlagen oder auf gemauertem Stützwerk an jenen angelehnt gebettet, stets so, dass man am rechten Fahrbahnrand aus ohne Absperrung fünfzig Meter sekrecht auf den schmalen Fluss gucken kann. Glücklicherweise sind auch hier nicht allzu viele Fahrzeuge unterwegs, sodass wir nur ab und an mal hinter den Fahrbahnrand ausweichen müssen, wenn sich zwei Autos begegnen.

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Wir erreichen Karl mit letzter Kraft, zwar war die Wanderung nicht annähernd so anspruchsvoll wie die gestrige Bergbesteigung, aber heute hatten wir fast keinen Schatten, sodass unsere Wasserflaschen leer sind. Entsprechend fallen unsere Reaktionen aus, als wir feststellen, dass Karls Frischwassertank genauso leer ist. Ich erinnere mich dunkel, dass Tim noch heute morgen vorgeschlagen hat, den Wassertank am Zeltplatz mal aufzufüllen, ich das aber mit einem Hinweis auf den üblen Geschmack des Wassers rundheraus abgelehnte. Ungünstigerweise habe ich mich wohl durchgesetzt. Allerdings muss man mir zugutehalten, dass gestern Abend Karl den Inhalt des Tanks noch mit fast halbvoll angegeben hatte. Um das Geschirr mal richtig sauberzukriegen, probierte Tim nach dem Abendessen erstmals das warme Wasser aus (mit mäßigem Erfolg), und in der Tat, im Warmwasserboiler finden sich noch einige Liter lauwarmer Brühe. Eklig, wie Tim findet, und ehe Richard sich ein Urteil bilden kann, ist auch dieser Tank bereits ausgelaugt. Wir parken glücklicherweise neben einer tropfenden Felswand, mit einer Flasche und viel Geduld kann man hier zumindest den gröbsten Durst stillen.

Nachdem das Problem zwar nicht aus der Welt geschafft, aber zumindest verschoben wurde, halten wir Kriegsrat. Grundsätzlich war als weiterer Reiseverlauf angedacht, das Tal weiter hinauf zu fahren, dort zu übernachten, und anschließend den Monte Cinto, den höchsten Berg Korsikas zu besteigen. Allerdings ist der Aufstieg dorthin laut Tims Reiseführer weder leicht zu bewältigen noch naturtechnisch reizvoll, noch unterscheidet sich die Aussicht von oben wohl großartig von der, die wir gestern bereits hatten, und so schieben wir Richards Grippe als Grund vor, und beschließen also, wieder umzukehren, und unser Glück mit einer weiteren etwas seichteren Wanderung im Nachbartal zu versuchen.

Auf dem Weg dorthin passieren wir Corte, die inoffizielle Hauptstadt der nach Unabhängigkeit schreienden Korsen, und einzige Universitätsstadt der Insel. Die Stadt verspricht also, interessant zu sein, und so entscheiden wir uns, einen kurzen Stadtbummel einzuschieben. Es ist ja gerade erst Nachmittag, und der nächste Zeltplatz nicht mehr weit. Die Parkplatzsuche gestaltet sich schwierig, nachdem wir Karl zwanzig Minuten erfolglos durch die verwinkelte Innenstadt gequält haben, finden wir glücklicherweise einen großen Kiesparkplatz am Stadtrand.

Die Kernstadt Cortes ist an den Hängen eines Berges errichtet, auf dessen Spitze die altehrwürdige Citadelle trohnt. Überall in den Straßen und Plätzen verteilt findet man Statuen von verschiedenen korsischen Nationalhelden, die die Insel wahlweise gegen die Franzosen, Genuesen oder andere einfallende Völkerscharen verteidigten. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Diesen Nationalstolz findet man hier in der Gegend ziemlich verstärkt, bei den zweisprachigen Straßenschildern etwa, ist der französische Text oft mit Graffiti verschmiert, das nur noch den korsischen Hinweis freilässt, französche Ortsnamen sind durchgestrichen und mit dem korsischen Pendant überschrieben.

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Durch die schmalen Gassen schieben wir uns an geschichtsträchtigen Häusern vorbei zur Citadelle hinauf, von wo aus wir uns einen großartigen Ausblick auf die Stadt und die umliegenden Täler erhoffen. Leider ist nur der untere Teil der Befestigungsanlage zugänglich, von wo aus man gerade mal einen guten Blick auf die zehn Meter hohen Steinmauern hat. Günstigerweise haben die Korsen direkt neben ihrer Citadelle einen Schutthaufen aufgeschüttet, der in etwa so hoch ist, wie der obere Teil der Citadelle, sodass wir von hier aus doch noch einen Blick auf die Stadt erhaschen können. Absolut nicht lohnenswert, wie Richard völlig korrekt feststellt, Cortes ist eine Stadt, die man besser von unten anschauen sollte.

Als wir uns auf den Rückweg begeben, kommen wir auf der anderen Seite der Citadelle an einem für Besucher geöffneten Aussichtsturm vorbei, von dem aus man das Stadtschlamassel noch besser begutachten kann. Auf halber Höhe treffen wir auf einen kleinen Supermarkt, in dem wir spontan noch Kekse für kommende Wanderungen einkaufen. Frevelhafterweise haben wir das nämlich bei vergangenen Einkäufen immer vergessen.

Hinter Corte biegen wir ab in ein weiteres, sehr enges Tal. An dessen Ende liegen die beiden Eiszeitseen Lac de Melo und Lac de Capitello. Was genau an diesen beiden Seen allerdings Eiszeit ist, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Bis hin kann man nicht fahren, angeblich ist der hintere Teil des Tals für den Individualverkehr gesperrt, es fahre aber ein Shuttlebus bis zum Ausgangspunkt der Wanderung. Wo genau der abfährt, müssen wir aber noch herausfinden. Auf halbem Wege liegt der Zeltplatz, auf dem wir die heutige Nacht verbringen wollen. Direkt dahinter sehen wir aber schon das erste Hindernis für unsere Bergseenwanderung morgen. Von dort strahlt und ein großes rotes Schild entgegen, das uns höflichst darauf hinweist, dass ab hier nur noch Autos mit einer Breite von unter 1,9 Metern zugelassen sind. Diese Breite überschreitet Karl dezent. An sich noch kein großes Problem, denn aus dem an der Stelle etwas unpräzisen Gestottere von Tims Reiseführer meinen wir herauslesen zu können, dass das Hotel, ab dem der Shuttlebus fährt, nur dreihundert Meter weiter liegt. Gut zu Fuß zu erreichen also. Zur Sicherheit nachgooglen können wir das aber leider nicht, denn in diesem Tal gibt es weder GPS, Telefon- oder Internetnetz. Die etwas inkompetente Dame an der Rezeption hingegen antwortet Tim auf seine Frage nach dem Shuttlebus, dass sie davon nichts wisse, soetwas gebe es hier nicht. Beruhigend.

Der Ortsausgang Cortes. Natürlich ordnungsgemäß mit Mittelstreifen

Der Ortsausgang Cortes. Natürlich ordnungsgemäß mit Mittelstreifen

Der Zeltplatz sieht nicht so richtig einladend aus, und ist auch bereits gut gefüllt. Günstige Wasserauffüllstellen entdecken wir keine, und so rangiert Tim Karl direkt vor das kleine Sanitärhäusschen, wo wir Karls Durst mit einem langen Wasserschlauch endlich löschen können. Sitt, aber noch nicht satt, richten wir uns wenige Meter weiter häuslich ein, und beginnen ohne Umschweife mit dem Abendessen. Angedacht waren Würstchen mit Kartoffelsalat, da wir aber beim Einkaufen keinen Kartoffelsalat gefunden haben, haben wir stattdessen eine Dose Kartoffelgratin eingesackt. Vielleicht hätten wir uns die Bedienungsanleitung vor dem Kauf schon mal durchlesen sollen, denn als ich den Doseninhalt gerade in den Topf kippen will, fällt mir der äußerst umfangreiche Text an der Dose auf, in dem in französischem Fließtext irgendetwas von Ofen und 45 Minuten steht. Wir haben hier leider weder einen Ofen, noch 45 Minuten Zeit, auf das Gratin zu warten, deshalb halte ich mich nach kurzem Überschlagen der verschiedenen Möglichkeiten doch an meinen eigentlichen Plan, und koche den Kartoffelmatsch einfach auf.

Eigentlich hatte ich gehofft, dass wir nach dem Essen womöglich endlich mal dazu kämen, weitere Blogartikel auf die Website zu übertragen und mit Bildern zu versehen, schließlich bin ich inzwischen sogar mit dem Text für den gestrigen Artikel fertig, online sind aber gerade mal die ersten zwei Tage. Das fällt aber wegen des akuten Internetmangels mal wieder flach. Stattdessen haben wir genug Zeit für eine weitere Krisensitzung zum weiteren Vorgehen morgen. Wir entscheiden uns, auf gut Glück einfach mal in die Richtung zu gehen, in der wir den Shuttlebus vermuten. Sollten wir ihn dort antreffen, dann wandern wir also zu den beiden Seen, treffen wir den Bus nicht, dann wandern wir halt einfach so etwas durchs Tal.

Beim abendlichen Rundgang zur Toilette müssen wir feststellen, dass hier offenbar ab zehn Uhr der Strom abgedreht wird. Es ist ziemlich witzig anzusehen, wie sich etwa acht Menschen mit Stirnlampen durch das stockfinstere Sanitärgebäude tasten.

Das macht nur Sinn, wenn mans nicht versteht.
— Richard Beck
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