Tag 5 // Barrettali - Ascotal

Geschrieben von Konstantin gerber

Wir wachen ein wenig gerädert auf, denn heute Nacht ist es ganz schön heiß gewesen, was uns allen etwas Probleme bereitet hat. Tatsächlich stehen wir fast am Strand, wir können das Meer aus Karls Tür heraus bereits sehen, aber auf ein kurzes Morgenbad hat niemand so richtig Lust. Natürlich haben wir gestern noch vergessen, auch fürs Frühstück einzukaufen, und so bleiben uns nur die Cornflakes- und Müslireste, die aus den letzten Tagen noch übrig sind. Dazu zaubert Richard immerhin für jeden noch ein Rührei, aber so richtig satt macht uns das auch nicht. Mal sehen, ob wir tagsüber noch etwas finden.

Über Nacht sind hier an allen Ecken und Enden große und kleine Geländefahrzeuge aus dem Boden geschossen, neben denen in den meisten Fällen vierschrötige Männer mit bunt bemalten Gewehren stehen. Offenbar ist heute Treibjagd angesagt, Tim erzählt ja ständig davon, dass Wildschweine hier eine wahre Plage seien. So schnell wie möglich versuchen wir uns also, aus der Gegend zu entfernen, Karl sieht zwar von außen nicht direkt wie ein Wildschwein aus, aber man kann ja nie wissen.

Die Straße heute ist so eng, dass Karl der Mittelgroße genau drauf passt. Das hat die Franzosen aber nicht davon abgehalten, brav einen Mittelstreifen einzuzeichnen, sodass man sich ein bisschen fühlt wie auf einer Spielzeugstraße. Dem Himmel sei Dank ist auch fast nichts los auf der Straßen, sodass uns das nervenzerreißende Rangieren am Abgrund bis auf zwei Ausnahmen erspart bleibt. Auch die Dörfer, die wir passieren, sind wie ausgestorben, nur einige Hunde können wir beobachten, die sich selbst Gassi führen, aber immer vorbildlich die Straßenseite wechseln, wenn sie uns anrollen sehen.

Schlimmster Feind: Gegenverkehr

Schlimmster Feind: Gegenverkehr

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Unser erstes Etappenziel ist ein altehrwürdiger Glockenturm, von dem aus man einen schönen Blick über die Westküste hat. Wieder mal. Deshalb bleiben wir auch nicht lange, sondern schlängeln uns schnell weiter nach Nonza. Das Städtchen liegt etwa hundertzwanzig Meter über dem Meer und punktet vor allem mit der Sainte-Julie-Kirche (hier hängt mal eine Frau statt Jesus am Kreuz) und einem ehemaligen Wachturm (prima Blick über die Westküste). Zu letzterem gibt es allerdings eine sehr nette Geschichte über einen Hauptmann, der als letzter Verteidiger des Turms den zahlenmäßig weit überlegenen Angreifern weis machen konnte, dass im Turm noch eine ganze Kompanie stationiert sei und diese nur kapituliere, wenn die gesamte Turmbesatzung freies Geleit in eigenes Gebiet zugesichert bekäme. Die Angreifer haben dann wohl nicht schlecht geguckt, als der Hauptmann dann alleine aus dem Turm stolziert kam.

Sainte-Julie, links am Rand kann man Karl erkennen

Sainte-Julie, links am Rand kann man Karl erkennen

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Außerdem findet sich an der Hauptstraße ein kleiner Bäcker, der trotz Sonntag geöffnet hat, und bei dem wir uns für den Rest des Tages und das morgige Frühstück eindecken.

Hier endet das Cap Corse auch so langsam, sodass wir uns jetzt entscheiden müssen, was wir als nächstes veranstalten wollen. Zur Auswahl stehen: Mehr Küste und mehr Strand oder bergiges Gebirge. Das Ergebnis steht schnell fest, alle wollen wir endlich mal in die Berge. An die Küste werden wir auf dieser kleinen Insel sowieso recht bald wieder stoßen. Konkret bedeutet diese Entscheidung für uns jetzt eine etwas längere Autofahrt bis nach Haute Asco, die wir aber gerne in Kauf nehmen. Zu Beginn kann man auf der rechten Seite die Desert de Agriates bewundern, eine noch buschigere Landschaft, als die bisherigen, die man nur noch mit Geländefahrzeugen befahren kann. Dann werden die Täler (und Straßen) schmaler, die Berge immer zerklüfteter, und unsere Stimmung angespannter. Die Landschaft ist malerisch schön, aber für Karl nicht ganz ungefährlich zu durchfahren, und auch die Berge machen einen sehr ehrfurchtgebietenden Eindruck.

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Tierischer Gegenverkehr

Tierischer Gegenverkehr

In Haute Asco lassen wir Karl auf einem viel zu großen und viel zu vollen Parkplatz stehend, und beginnen um Punkt vierzehn Uhr unsere erste größere Bergwanderung für dieses Jahr. Zumindest war eine Bergwanderung angedacht. Auf den ersten dreihundert Metern führt der Pfad durch einen sandigen Nadelwald, und lässt sich durchaus noch guten Gewissens als steiler Wanderweg bezeichnen. Kaum verlassen wir aber den Wald, verwandelt sich der Weg in einen Klettersteig. Links und rechts von uns ragen glatte Felswände gen Himmel, dazwischen befindet sich ein Gemisch aus Steinbrocken, Sand und Felspassagen, die wir erklimmen müssen. Zwei Kilometer sind es angeblich bis zum Gipfel, nach anderthalb Stunden haben wir es allerdings gerade einmal bis zum Kamm unterhalb des eigentlichen Berges geschafft, von wo aus man den Gipfel noch nicht einmal erahnen kann.

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Was die beiden da sehen ist übrigens noch nicht der Gipfel

Was die beiden da sehen ist übrigens noch nicht der Gipfel

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So langsam müssen wir auch mit einberechnen, dass wir wieder unten sind, bevor es duster wird, das hatten wir bisher als mögliches Problem noch gar nicht in Erwägung gezogen. Trotzdem entscheiden wir uns nach einer kurzen Rast, den weiteren Aufstieg zu wagen, und zumindest mal zu gucken, wie es nach den letzten für uns sichtbaren Felsformationen weitergeht. Von einem Weg ist hier gar nichts mehr zu erkennen, sodass wir uns nach Gefühl über die Geröllwüste kämpfen müssen, und dabei den steilen Abhängen nach Möglichkeit ausweichen. Die grobe Marschrichtung steht ja fest: Hoch. Aber dazu ist es eben manchmal nötig, erst wieder einige Meter abzusteigen. Der Gipfel selbst ist nur noch zu erreichen, indem man die letzten Felsen erklettert. Davon lassen wir uns jetzt auch nicht mehr abhalten. Und so stehen wir, etwa zweieinhalb Stunden nachdem wir losgelaufen sind, in 2147 Metern Höhe auf dem ersehnten Gipfel - und mitten in einer Wolke.

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Diese Felswand trennt uns noch vom Gipfel

Diese Felswand trennt uns noch vom Gipfel

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Die letzten Meter…

Die letzten Meter…

Geschafft!

Geschafft!

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Wenn schon keine Aussicht ist, dann gucken wir halt auf der Karte, wo wir sind!

Wenn schon keine Aussicht ist, dann gucken wir halt auf der Karte, wo wir sind!

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Den ganzen Aufstieg über begleitete uns die strahlende Sonne an einem fast wolkenlosen Himmel, kaum nähern wir uns dem Gipfel, zieht es sich zu. Zu unserem Glück reißt die Wolke ab und an für einige Augenblicke auf, sodass wir zumindest erahnen können, was am Horizont zu sehen ist.

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Der Abstieg geht wesentlich schneller als der Aufstieg, und Auf den ersten Metern finden wir sogar so etwas wie einen Weg, den wir beim Aufstieg wohl verfehlt haben. Sobald es etwas windstill geworden ist, traut sich Richard sogar, Bambel mal auszupacken, allerdings hat die Drohne heute wohl keine rechte Lust, oder sie fürchtet sich vor dem gruseligen Abgrund, neben dem wir uns bewegen, jedenfalls dauert es eine Weile, bis Richard sie dazu bewegen kann, sich in die Lüfte zu erheben.

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Trockenes Baguette scheint nicht so Richards Ding zu sein - dabei hat er doch AbiBac!

Trockenes Baguette scheint nicht so Richards Ding zu sein - dabei hat er doch AbiBac!

Auf der Höhe sind sogar die Steine lila

Auf der Höhe sind sogar die Steine lila

Gehts hier links oder rechts?

Gehts hier links oder rechts?

Kopf hoch, die Hälfte ist geschafft!

Kopf hoch, die Hälfte ist geschafft!

Das Tal liegt schon tief im Schatten, als wir Karl mit müden Beinen wieder erreichen. Der Parkplatz hat sich mächtig geleert, außer Karl warten nur noch eine handvoll Autos auf ihre Besitzer. Wir wundern uns etwas, wo die wohl alle geblieben sein könnten, denn auf unserer Wanderung sind uns nur wenige Menschen begegnet. Deutlich weniger, als der volle Parkplatz vorhin befürchten ließ. Aber wir sind viel zu geschafft, um uns darüber noch großartig den Kopf zu zerbrechen.

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Auszüge aus dem Musikvideo zur neuen Single von Beathoven: “Huhu, Echo”

Auszüge aus dem Musikvideo zur neuen Single von Beathoven: “Huhu, Echo”

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So sehen Sieger aus

So sehen Sieger aus

Am angepeilten Zeltplatz sind wir vorhin schon mal vorbei gefahren, heute gibt es also keine unangenehmen Überraschungen. Richard kann sogar an der Rezeption für morgen früh noch zwei frische Baguettes bestellen. Da wir alle ziemlich fertig sind und insbesondere Richard seit dem Abstieg einen immer angeschlageneren Eindruck macht, fackeln wir nicht lange, und machen uns zügig an die Zubereitung des Abendessens. Das besteht heute aus zwei Gängen: Einmal angebratenes Gemüse mit Reis, gefolgt von Reis mit roten Bohnen und Tomatensoße.

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Ich hasse Eincremen. Da muss man seinen Körper so anfassen.
— Tim Hacker
Richard Beck1 Comment