Tag 4 // Bastia - Barrettali
Geschrieben von Konstantin Gerber
Tim geht vor dem Frühstück einkaufen, und so können wir unseren ersten Morgen auf französischem Boden gebührend mit einem frischen Baguette begehen. Zu unserer morgendlichen Toilettenrunde nehmen wir Karl heute mal mit, sodass auch er erstmals das gesammelte Dreckwasser ablassen kann. Die Toilette ist Gott sei Dank noch sauber da unbenutzt. Aus Angst vor der Reinigung haben wir uns bisher noch nicht getraut, sie einzuweihen.
Heute steht die Fahrt in den Norden der Insel an, wo wir eine erste Wanderung an der Küste entlang unternehmen wollen. Für die Strecke dorthin schlägt Tims Reiseführer einen Umweg über die Berge im Inland vor. Nicht für Wohnwagen geeignet, aber Wohnmobile direkt werden nicht genannt, und so trauen wir uns, den Abstecher zu machen. Schnell zeigt sich, warum der Reiseführer die Strecke nur unter Vorbehalt empfiehlt. Richard quält Karl im ersten Gang eine winzige Serpentinenstraße hinauf, auf der selbst Radfahrer ein schier unüberwindbares Hindernis sind, und in deren Haarnadelkurven er zum Teil zurücksetzen muss, um um die Ecke zu kommen. Oben angekommen gibt es dann einige schmale Haltebuchten, die zum Fotografieren einladen. In der Tat erstreckt sich von hier oben ein weites Panorama über das Meer und Bastia, das sowohl Tim als auch Richard sogleich auch als gar nicht mehr so abstoßend wie gestern bei unserer Ankunft bezeichnen.
Passt wie die Faust aufs Auge
Nach einem winzigen Örtchen geht die Straße genau so steil wieder bergab, wie sie eben noch anstieg, bis wir wieder auf die Küstenstraße treffen. In einem kleinen Örtchen machen wir unsere erste, größere Pause. Es gibt hier einen netten kleinen Hafen mit einem verfallenen Leuchtturm in der Einfahrt, um die wir in der Mittagshitze herumspazieren.
Fotograf, oder nicht doch eher Fotomodell?
Frisch erholt legen wir im Anschluss die letzten Kilometer bis nach Macinaggio, wo wir Karl am Hafen abstellen, und uns zu Fuß auf in Richtung Nordkap machen. Der Weg führt durch dichte Buschwälder immer an der Küste entlang, mal dicht am Wasser, mal dreißig Meter darüber. Die pralle Sonne am wolkenlosen Himmel gibt uns schon mal einen Vorgeschmack darauf, was uns die nächsten Wochen hier in Korsika wohl erwarten wird: Knallende Hitze, kaum Schatten. Aber attraktive Aussichten.
Man muss die Gelegenheit nutzen, solange das Haar noch voll ist…
Eidechse Nr. 26
Korsen aufgepasst, euer neuer Anführer ist eben eingetroffen
Der Weg führt uns an einer kleinen Kapelle vorbei zu einem alten Wachturm, von denen es hier auf Cap Corse hunderte gibt. Allerdings wurde dieser hier entweder von den Engländern, oder den Franzosen - so gut ist mein französisch nicht mehr - in einem der Englisch-Französischen Kriege mit einer Kanone und viel Fingerspitzengefühl genau halbiert. Es erinnert mich ein wenig an ein Puppenhaus, dass man von der Seite fast auf einen exakten Querschnitt des Turminnenlebens schauen kann.
Auf dem Rückweg begegnen wir zwei Hunden mit Glocken um den Hals. Von Ferne sehen sie ziemlich gefährlich aus, sodass wir uns schon Sorgen machen, dass eine etwaige Konfrontation für uns kein allzu gutes Ende haben könnte, als sie uns erreichen, trotten sie aber einfach an uns vorbei weiter den Weg entlang, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Überhaupt machen sie gar nicht den Eindruck von zwei Hunden, sondern eher wie ein altes Ehepaar, das zusammen spazieren geht. Ein eher befremdliches verhalten, aber die beiden sollen nicht die einzigen Hunde bleiben, die wir auf Korsika treffen, und die sich so menschlich verhalten. Tim und Richard hüpfen noch einmal kurz ins Algenverhangene Wasser, und erschnorcheln einige bunte Fische, Richard sogar einen Rochen - allerdings keinen bunten - dann spazieren wir gemächlich zurück zu Karl, der bereits sehnsüchtig in der prallen Sonne auf uns wartet.
Zum Blogschreiben wird jede freie Sekunde genutzt. Im Hintergrund: Unsere Gerümpelecke
Da Tim glücklicherweise einfällt, dass morgen Sonntag ist, gehen wir noch in einem winzigen Supermarkt für morgen einkaufen, dann sind wir auch schon wieder unterwegs zur Westküste des Kaps. Auf halbem Wege gibt es einen Aussichtspunkt auf die nördlichste Spitze der Insel, an der wir noch einmal kurz anhalten, und den Ausblick genießen. Richard findet ihn gleich derart berauschend, dass er seine Fotodrohne Bambel das erste mal auspackt, und Tim und ich nutzen die Gelegenheit, und klettern auf den nebenan liegenden Berg. Leider steht er nicht so isoliert, wie es von unten den Anschein hatte, sodass der erhoffte Rundumblick mit Meer in drei der vier Himmelsrichtungen ein wenig verdeckt wird, trotzdem können wir von hier oben weite Teile des Cap Corse überblicken.
Beim Abstieg begleitet uns Bambels charakteristisches Brummeln. Richard hat sie offenbar ohne Startschwierigkeiten in die Luft bekommen. Als wir ihn wieder erreichen, zeigt er sich allerdings nur mäßig begeistert von den erhaltenen Aufnahmen. Aber da er die Drohne gerade schon mal in der Hand hat, und die Straße wenig befahren ist und durch fantastische Landschaften führt, bietet es sich an, schon mal erste Aufnahmen für LimCamper anzufertigen. Tim fährt mit Karl also die Straße auf und ab, während Richard am Straßenrand steht, und mit Bambel versucht, einige szenische Videos aufzunehmen.
Zwei Hobbits auf dem Weg in ein Abenteuer
Kurz vor Sonnenuntergang treffen wir auf die Westküste. Eine Viertelstunde von der Straße entfernt liegt hier eine alte Windmühle mit angeblich gutem Ausblick, und da wir bereits ein wenig weiter gekommen sind, als Tims Plan für heute vorsieht, entscheiden wir uns für den Spaziergang dort hinauf. Eine sehr gute Idee, wie sich gleich zeigen soll. Die Windmühle macht ihrem Namen alle Ehre, zwar hat sie keine Flügel mehr, dafür windet es hier oben so stark, dass wir uns nur noch rufend verständigen können. Die Aussicht ist ebenfalls nicht schlecht: man kann große Teile der Westküste überblicken, was insbesondere durch die zahlreichen kleinen, in den Hang geduckten Dörfchen sehr schick anzusehen ist.
Jetzt ist es klar: Fotomodell
Von hier aus kann man noch etwas weiter vor bis zum Abgrund gehen. Weil Richard noch damit beschäftigt ist, mit seinem neuen, vollelektronischen Kameragimbel namens Bio-Bruno extrem smoothe Kamerafahrten durch das allgegenwärtige Buschwerk aufzunehmen, klettere ich auf eine etwas hervorstehende Klippe, um von dort einen Blick auf die Küstenlinie vor uns zu erhaschen. Ein wirklich glücklicher Zufall, denn zum einen weht der Wind hier noch deutlich kräftiger vom Meer hoch, als noch oben an der Windmühle, sodass man Mühe hat, auf den Beinen zu bleiben, zum anderen verbirgt sich unmittelbar unter der Klippe ein Küstendorf, auf das man von hier oben aus Vogelperspektive herunterschauen kann. Die Luft ist zwar etwas diesig, trotzdem ist das hier mit Sicherheit einer der spektakulärsten Ausblicke, die ich bisher erleben durfte. Insbesondere wenn man sich an die vordere Spitze der Klippe stellt, und sich den Wind um die Ohren brausen lässt, ist das Gefühl unbeschreiblich.
Windspielchen auf dem Windy Willy
Hier bietet sich eine dritte Möglichkeit: Ist Tim eigentlich ein Papagei?
Wir verbringen also noch gute zwanzig Minuten auf dem Felsen, insbesondere Richard ist auch begeistert von der Möglichkeit, Bio-Bruno bei solch extremen Windbedingungen testen zu können (er besteht mit Bravour), dann machen wir uns auf den Rückweg zu Karl.
Inzwischen beginnt die Sonne unterzugehen und färbt den Horizont blutrot. Laut Tims Reiseführer kommt nach wenigen Kilometern der Küstenstraße ein Campingplatz, den wir anpeilen. Leider aber offenbar übersehen. Die Fahrt auf der Küstenstraße zieht sich immer weiter in die Länge, ohne das erhoffte Hinweisschild auf einen Zeltplatz. Wenden ist auf der engen Straße leider nicht möglich, und so beschließen wir, doch bis zum nächsten eingetragenen Platz weiterzufahren. Der ist angeblich etwa fünf Kilometer entfernt, und wir haben gerade mal halb acht.
Relativ schnell stellen wir fest, dass in Korsika Kilometerangaben anders interpretiert werden müssen, als man das aus Deutschland gewohnt ist. Die Straße ist extrem eng und gewunden, links ragt der Fels in die Höhe, rechts geht es hundert Meter fast senkrecht hinunter zum Meer. So kommen wir immerhin in den Genuss, die Sonne vollformatig ins Meer sinken zu sehen. Die fortgeschrittene Uhrzeit hat außerdem den Vorteil, dass außer uns niemand mehr unterwegs ist, sodass wir die Straße ganz für uns alleine haben.
Recht spät und in völliger Dunkelheit erreichen wir den nächsten ausgewiesenen Übernachtungsplatz. Laut Tims Reiseführer soll man im nahegelegenen Hotel Marinelli nachfragen, dann bekäme man einen Platz zugewiesen. Richard verschwindet kurz in der Rezeption, und verkündet uns anschließend freudestrahlend, dass wir sogar kostenlos auf dem Parkplatz vor dem Hotel übernachten dürfen. Selbst Frischwasser gäbe es, das wir aber keinesfalls zum Putzen verwenden sollten.
Der Parkplatz stellt sich als mit Bäumen bepflanzter Sandplatz heraus, auf dem wir - soweit wir das im Stockfinsteren erkennen können - tatsächlich die einzigen Gäste sind. Nach Tims Rezeptvorschlag braten wir ein paar Gnocchi mit Paprika, Zwiebeln und etwas Tomatensoße an, was wirklich lecker schmeckt (und die Küche erstmals an ihre Grenzen bringt), aber auch etwas wenig ist. Und so bringen wir uns auch heute noch mit eine Tüte Kekse durch den restlichen Abend.
“Energielehre? Das ist ja das A und B der Physik.”