Tag 10 // Bonifacio - Sagone

Geschrieben von Konstantin Gerber

Nach dem Frühstück wollen wir als erstes Karls Abwassertank entleeren. Der ist schon seit einigen Tagen fast randvoll gefüllt, sodass ich gestern Abend und heute morgen unser Besteck schon im Sanitärgebäude abwaschen musste. Und das ist für uns Luxusurlauber ja gänzlich unzumutbar. Außerdem richtig es im Wageninneren mittlerweile ziemlich penetrant nach alter Ananas, und das, obwohl wir gar keine alte Ananas haben. Wenn also Karls Vorbesitzer nicht irgendwo Vorräte für uns versteckt haben, dann haben die chemischen Reaktionen in unserem Abwassertank gerade eine Menge Spaß. Dieser Campingplatz hat auch als erster in den letzten Tagen eine Abwassertankentleerstelle. Einziges Problem daran: Ein älteres französisches Pärchen hat genau dort ihr Lager aufgeschlagen. Während Tim versucht, Karl irgendwie so neben ihr Wohnmobil zu rangieren, dass der Abwassertankstutzen über der Abwassertankentleerstelle zum stehen kommt, lautstark unterstützt durch Richard und mich, die wir von außen Tim gegensätzliche Fahranweisungen zurufen, wacht das Pärchen offenbar auf, und steckt erschreckt den Kopf durchs Fenster. Als sie Karl keine zwanzig Zentimeter vor ihrer Nasenspitze erblicken, steigt der Mann aus, kommt auf mich zu, und fragt mich besorgt, ob wir vorhaben, da länger stehen zu bleiben. Die Angst kann ich ihm gerade noch auf Französisch nehmen, als ich ihm aber dann auf Englisch zu erklären versuche, dass wir nur kurz an die Abwassertankentleerstelle müssten, auf der sie genächtigt haben, guckt bloß wie ein Fisch auf Landgang. In dem Augenblick kommt mir glücklicherweise eine andere französische Camperin zu Hilfe, die unser Bemühen schon ein wenig aus sicherer Entfernung verfolgt hat, und redet so lange schnell auf den verwirrten Mann ein, bis dieser etwas verstehender guckt, sich entschuldigt und wieder zu seiner immer noch am Fenster klebenden Frau trollt. Tatsächlich kriegen wir Karl schließlich mit vereinten Kräften so platziert, dass wir den Abwassertank ohne größere Sauerei entleeren können, und füllen bei der Gelegenheit auch gleich Frischwasser nach.

Millimeterarbeit

Millimeterarbeit

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Motoröl testen für Gourmets

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So gerüstet verlassen wir den Campingplatz in Richtung der von Tims Reiseführer angepriesenen Schnorchelstelle, die wir gestern nicht mehr ganz erreicht haben. Wir fahren mit Karl bis zu der Stelle, an der wir gestern umgekehrt sind, und laufen dann die letzten Meter die Felsen hinunter bis zu Strand. Ganz alleine sind wir nicht, bei unserer Ankunft sind bereits zwei Parteien am schmalen Strand platziert, beide ebenfalls mit Schnorchelausrüstung. Gespannt machen wir uns also auch bereit, diesmal sogar den Schwimmflossen, die Richard mitgebracht hat, und waten ins Wasser. Beim ersten Kopfuntertunken gleich die erste Überraschung: Wir stehen keine zwei Meter vom Ufer entfernt bereits mitten in einem Fischschwarm, der uns munter durch die Beine zischt, und von oben gar nicht zu sehen war. Der Meeresgrund wird hier schnell felsig, bleibt aber relativ weit so weit oben, dass man noch gut stehen kann. Allerdings ist der Salzgehalt des Wassers so hoch, dass auch faul im Wasser liegen eine entspannte Alternative ist. Das Wasser ist fast kristallklar und die Fische ziemlich zutraulich, und so können wir sie in greifbarer Nähe fasziniert beobachten.
Tim kann sogar einen Flötenfisch ausmachen, traut sich aber nicht, ihn zu spielen.

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Leider sind auch die vielen kleinen, roten Quallen ziemlich zutraulich und auf Körperkontakt aus, was sich bei uns zügig in zahlreichen, geröteten und brennenden Stellen äußert. Auf diese Weise aus dem Wasser vertrieben, machen wir uns auf den Rückweg zu Karl, aber nicht, ohne einen alten Besenaufsatz mitzunehmen, den wir am Strand gefunden haben, und der da allem Anschein nach auch schon länger liegt. Über die letzte Woche ist Karl nämlich auch von innen ganz schön dreckig geworden.

Nach einer Stunde Fahrzeit erreichen wir Campomoro, unseren ersten Anlaufpunkt an der Westküste. Von dort starten wir eine kleine Wanderung am Ufer entlang, das hier von abgefahrenen Felsformationen gesäumt wird, auf denen sich prima herumklettern lässt. Unterwegs begegnen wir einer Gruppe Kühe, die den Weg versperren, statt aber wie beim letzten Mal panisch wegzulaufen, trauen wir uns diesmal an ihnen vorbei. Besonders, weil wir die Kühe diesmal zweifelsfrei als solche identifizieren können, und sie uns auch, ebenfalls anders als beim letzten Mal, keine große Beachtung schenken, sondern gemütlich weitergrasen.

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Sind wir falsch abgebogen?

Sind wir falsch abgebogen?

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Schön kühl!

Schön kühl!

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Auf dem Rückweg stößt Tim mit einem großen Schmetterling zusammen, was ihn dazu verleitet, die fatale Frage zu stellen, was eigentlich passieren würde, wenn ein Schmetterling mit 50km/h auf ein ebenfalls mit 50km/h fahrendes, entgegenkommendes Auto trifft. Die triviale Antwort (er klebt an der Windschutzscheibe) reicht Richard und mir nicht, also formulieren wir die Frage wie folgt um: Zwei Gegenstände, die sich mit gleicher Geschwindigkeit (50km/h) aufeinander zubewegen, führen einen elastischen Stoß aus, wobei der eine Gegenstand nahezu unendlich schwer ist (Auto) und der anderen schwerelos (Schmetterling). Wie schnell ist der leichtere Gegenstand nach dem Stoß? Richard behauptet, er sei doppelt so schnell (100km/h), also die Summe aus der eigenen, reflektierten Geschwindigkeit und der Geschwindigkeit des Autos. Ich stelle die These auf, dass der Schmetterling ungefähr drei mal so schnell wird (150km/h), begründet damit, dass der Schmetterling im vom Auto aus gesehen mit 100km/h angeschossen kommt und also auch mit der gleichen Geschwindigkeit wieder abprallt. Da das Auto selbst noch mit 50km/h unterwegs ist, werden die überall noch mit draufgeschlagen. Das sehen Richard und Tim überhaupt nicht ein, sodass wir uns über dieses Problem derart verkrachen, dass wir einen befreundeten Doktor der Physik, Dr. Beck Senior, anrufen, der unseren Streit schlichten soll. Der bringt als erstes die verschiedenen Energien ins Spiel, die wir bisher geflissentlich ignoriert haben, und stellt daraufhin eine dritte Theorie auf, dass der Schmetterling ja keine Energie dazugewinnen kann, wenn das Auto keine verliert, sodass er also auch nur mit 50km/h abprallt, und quasi vor dem Auto herfliegt. In dem Falle taucht aber das Paradoxon auf, dass bei der Betrachtung im Inertialsystem des Autos nach dieser Theorie der Schmetterling wie von mir vermutet mit hundert Sachen angeflogen kommt und auch wieder abprallen muss, sodass er für einen außenstehenden nun 150km/h schnell ist. Richard und ich beglückwünschen uns bereits dazu, die nächste Relativitätstheorie entdeckt zu haben, da werden wir aufgeklärt, dass unsere Grundannahme, der Schmetterling sei masselos, nicht zulässig sei. Dadurch benötigte man nämlich keine Energie, um ihn zu beschleunigen, sodass alle Rechnungen hinfällig werden. Stattdessen sollten wir besser mit einem Schmetterling rechnen, der unendlich mal leichter sei, als das Auto. In dem Falle verliert das Auto nämlich in der Tat ein wenig Energie bei dem Zusammenstoß, und damit auch ein bisschen Geschwindigkeit, und der Schmetterling kann die Energie aufnehmen, und wird dadurch zusätzlich beschleunigt. Und da er unendlich leichter ist als das Auto, führt die geringe Energieänderung bei ihm zu einer deutlich größeren Geschwindigkeitsänderung, nämlich fast auf das dreifache seiner ursprünglichen Geschwindigkeit. Das Auto fährt also fast unverändert mit etwas weniger als 50km/h weiter, während der Schmetterling mit knapp unter 150km/h weggeschossen wird.

Tim tut es schon Leid, dass er überhaupt gefragt hat, denn diese Diskussion hat sich solange hingezogen, dass wir unterdessen einkaufen waren, auf dem Zeltplatz ankamen und sogar fast das Abendessen beendet haben, ehe die letzten Fragen geklärt sind. Einen geöffneten Campingplatz zu finden war tatsächlich gar nicht so einfach, da die meisten seit Anfang Oktober geschlossen haben. Und das steht leider nicht immer bereits an den Wegweisern zu ihnen dran, sodass wir heute einige Male die schmalen und oft steilen Einfahrten bis vor ein verschlossenes Tor gefahren sind, aus denen Richard dann mit Ach und Krach und viel Fingerspitzengefühl wieder herausrangieren musste. Dafür belohnen wir uns aber mit einem ausführlichen Abendessen: Tortellini mit Tomatensoße, gefolgt von einer großen Ladung Crêpes.

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Das ist das höchste der Gefühle, wo ich gehen will.
— Tim Hacker
Richard Beck1 Comment